Adolf Loos v Plzni

Über Adolf Loos

Adolf Loos wurde 1870 in Brünn geboren und kommt aus einer Steinmetzfamilie. Seine spätere Ausrichtung wurde nicht nur von den Erfahrungen in der väterlichen Werkstatt und dem abgebrochenen Architekturstudium geprägt, sondern auch durch den dreijährigen Aufenthalt in Amerika (1893-1896), der eine Schule fürs Leben darstellte. Er arbeitete als Maurer und Tellerwäscher, aber auch als Zeichner für eine Baufirma, als Parkettleger, er sägte und trug Zeitungen aus. Der Aufenthalt in Amerika, insbesondere der Besuch der Weltausstellung in Chicago, prägte Loos’ Einstellung zur Architektur nachhaltig. Nach seiner Rückkehr ließ er sich in Wien nieder, wo er Freundschaften mit bedeutenden Persönlichkeiten der damaligen Kunstwelt schloss, darunter die Komponisten Arnold Schönberg und Gustav Mahler, der Maler Oskar Kokoschka, der Dichter und Schriftsteller Peter Altenberg und der Journalist Karl Kraus. Adolf Loos gründete in Wien sein eigenes Architekturbüro und begann regelmäßig zu publizieren. In seinen Schriften kritisierte er generell den allgegenwärtigen Dekorativismus seiner Zeit und alles, was in der Architektur und der angewandten Kunst die volle funktionale Nutzung des Bauwerks verhinderte.

Sein erstes bedeutsames architektonisches Werk realisierte Loos erst 1899. Es war das Café Museum in Wien, das wegen seiner ungewöhnlich strengen Erscheinung Café Nihilismus genannt wurde. Der Höhepunkt von Loos’ erster Schaffensperiode vor dem Ersten Weltkrieg war das Kaufhaus Goldman & Salatsch (1910) am Wiener Michaelerplatz, das auch als “Haus ohne Augenbrauen” bekannt ist. In Wien baute er mehrere weitere Häuser und während seines Aufenthalts in Paris ebenfalls ein Haus für den Dichter Tristan Tzara. In Böhmen entwarf er mehrere Häuser in der Nähe von Brünn, in Prag die Winternitz-Villa und die Müller-Villa, in denen er das Prinzip des so genannten Raumplans – ein Konzept von Loos, das die einzelnen Räume eher räumlich als flächenmäßig gliedert, vollständig umsetzte.

Zu einem Kapitel für sich wurde der Aufenthalt von Loos in Pilsen. In zwei Etappen (1907-1910, 1927-1932) schuf er eine ganze Enklave interessanter Innenraumgestaltungen. Loos beeinflusste mit seinem Werk auch viele andere Anhänger. Während seines zweiten Aufenthalts in Pilsen lernte er Klara Beck, die Tochter seines wichtigen Investors Otto Beck, kennen, die später seine dritte Frau wurde.  Im Jahr 1933 starb Loos in einem Sanatorium in Kalksburg bei Wien.

„Ein Haus muss allen gefallen. Ganz im Gegensatz zu einem Kunstwerk, das niemandem gefallen muss.“

Über das Pilsen von Loos

Ende des ersten Jahrzehnts des Zwanzigsten Jahrhunderts war Pilsen ein wichtiges industrielles Zentrum der österreichisch-ungarischen Monarchie. Zu den wichtigsten Unternehmen der Monarchie gehörten die Fabriken von Emil Škoda – die so genannten Škoda-Fabriken, die in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zu einem Industrieriesen von europäischer Bedeutung wurden. In der sich dynamisch entwickelnden Stadt Pilsen entstanden Werkstätten, Fabriken und Industriebetriebe, von denen viele ihre Waren über die Grenzen des Landes hinaus exportierten. Zur wohlhabenden Unternehmerschicht gehörte auch die Familie von Richard Hirsch, der 1906 für seinen Sohn Vilém und dessen Frau Marta ein zweistöckiges Haus in dem neu entstehenden Luxusviertel mit Mietshäusern in der südlichen Vorstadt des sich entwickelnden Pilsen kaufte.

1907 lernte das frisch vermählte Ehepaar Hirsch den berühmten Journalisten Karl Kraus kennen, einen engen Freund von Adolf Loos. Sie beschlossen, Loos mit der Gestaltung der Inneneinrichtung ihrer Pilsner Wohnung in der Straße Plachého zu beauftragen. Wilhelm Hirsch erinnerte sich später, dass Adolf Loos die erste Idee für seinen Entwurf sehr geschwind auf einem gewöhnlichen Briefumschlag skizzierte.

Dank dem Ehepaar Hirsch kam Adolf Loos also nach Pilsen, welches in seinem späteren Leben eine wichtige Rolle spielte. Hier schloss Loos Freundschaft mit Familien aus der hiesigen jüdischen Gemeinde, die durch geschäftliche und familiäre Beziehungen miteinander verbunden waren. Er realisierte hier für sie mindestens 13 meist innenarchitektonische Projekte. Acht davon sind bis heute erhalten geblieben, von denen wiederum zwei von Loos` Anhängern nach dem Loos-Konzept umgesetzt wurden. Die meisten davon befinden sich in Pilsen entweder direkt an der Straße Klatovská oder in deren Umgebung.

Sie fragen, warum ich so oft und gerne in Pilsen bin. Es ist Zufall: irgendwo muss man zu Hause sein, und ich bin in der Tschechoslowakei geboren: deshalb fühle ich mich hier zu Hause. Ich habe lange in Wien gelebt und von dieser Stadt habe ich nie einen Dank für meine Arbeit gehört; ich habe nicht in der Tschechoslowakei gelebt und wurde hier von der Regierung sowie von Einzelpersonen (in erster Linie von Dr. Markalous) sehr freundlich empfangen. Die Tschechoslowakei ist von allen Ländern, die ich kenne, das friedlichste, fleißigste und ordentlichste. Und trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - habe ich mich in Wien so wohl gefühlt. Denn dort muss man immer gegen etwas Schlechtes kämpfen und ich bin ein echter Revolutionär.
(AL: Stenogramm eines Interviews in Pilsen, 1930)

Über das Vergessen und Suchen

Bis vor kurzem war die Tatsache, dass der berühmte Architekt Adolf Loos in Pilsen arbeitete, der kulturellen Öffentlichkeit völlig unbekannt. Die ursprünglichen Eigentümer jüdischer Herkunft verließen im Verlauf der 30er Jahre unter der Bedrohung des aufkommenden Nationalsozialismus ihre Wohnungen, einige kamen gar in Konzentrationslagern um. Ihre Häuser wurden von den Besatzern beschlagnahmt, nach 1945 dann vom kommunistischen Regime. Die Wohnungen wurden zu Büros umfunktioniert oder in kleinere Wohneinheiten aufgeteilt, die wertvolle Innenausstattung wurde oft schwer beschädigt oder zerstört. Die ursprünglichen Eigentümer (bis auf eine Ausnahme) kehrten nie in die Wohnungen zurück und so verschwanden die Informationen über Loos’ Werk langsam aus dem Gedächtnis der Stadt. Nur eine Handvoll Experten wusste davon und diese hatten seit den 1960er Jahren immer wieder auf die Existenz der Loos-Interieurs in Pilsen hingewiesen. Die größte Resonanz erweckt der Name Věra Běhalová, denn ohne ihre Bemühungen wäre das Werk von Loos in Pilsen wahrscheinlich völlig verschwunden. Aber auch Steven Brummel, ein Cousin von Michal Brummel, war maßgeblich an der Rettung der bedeutendsten Loos-Realisierung in Pilsen in der Straße Husova 58 beteiligt, als diese wegen dem Bau einer neuen Bushalle abgerissen werden sollte

"Nicht die Quantität, sondern die Qualität der Arbeit hilft den Wert eines jeden Objekts zu bestimmen. Wir leben in einer Zeit, welche die Quantität der Arbeit in den Mittelpunkt rückt. Denn diese Quantität ist leicht zu kontrollieren, ist für jeden sofort ersichtlich und erfordert kein geschultes Auge und keine Kenntnis der Substanz."
(A. Loos: Ins Leere gesprochen)

Über Věra Běhalová

Eine der wichtigsten Persönlichkeiten der Pilsener Loos-Interieurs ist Věra Běhalová, geboren am 31. Juli 1922 in Prostějov, gestorben am 1. Juni 2010 in Wien. Diese Frau von kleiner Statur aber unglaublich starkem Willen und enormem Enthusiasmus leistete wohl den wichtigsten Beitrag zur Rettung der Pilsener Realisierungen dieses bedeutenden Architekten. Věra Běhalová kam nach einem grauenvollen Weg der Verfolgung durch das totalitäre Regime nach Pilsen. Kurz nach der kommunistischen Machtübernahme im Jahr 1948 wurde sie aus der Karlsuniversität in Prag, wo sie Kunstgeschichte studierte, geworfen. Als gläubige Katholikin schloss sie sich dem antikommunistischen Widerstand an. Während ihres Studiums an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität arbeitete sie als Aushilfskraft an der französischen Botschaft, wo sie geheime Botschaften von ihren Lehrern an den französischen Botschafter weiterleitete, der sie dann per Diplomatenpost verschickte. Ziel der Mitteilungen war es unter anderem, die zivilisierte Welt über die brutale Unterdrückung der religiösen Freiheit in der kommunistischen Tschechoslowakei zu informieren. Ihre Bemühungen wurden jedoch bald aufgedeckt und Věra wurde zusammen mit vielen anderen wegen Spionage und Verrat zu sieben Jahren Haft verurteilt. In den 1950er Jahren wurde sie in schweren Arbeitslagern interniert, darunter das berüchtigte Frauengefängnis in Želiezovce, Slowakei. Aus dem Gefängnis kehrte sie mit dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen zurück. Nach Abgeltung ihrer Strafe wechselten sich   viele verschiedene zweitklassige Arbeitsplätze ab, bis sie schließlich in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre den Weg nach Pilsen fand, denn es war ihr von Amts wegen verboten in der Nähe ihrer Heimatstadt zu arbeiten. In Pilsen begann sie am Zentrum für Denkmalpflege und Naturschutz des Kreises, wo sie zum ersten Mal seit ihrem Studium wieder in ihrem Fachgebiet arbeiten konnte. Nicht nur durch ihren Fleiß, sondern auch durch ihre bescheidene und freundliche Art gewann sie das Vertrauen vieler Menschen, die sie mit dem Werk von Adolf Loos in Pilsen bekannt machten. Bald begann sie, mit ehemaligen Kollegen, Kunden und Freunden von Loos zu korrespondieren. Sie machte sich auf die Suche nach dem, was nach dem Krieg übriggeblieben war, dokumentierte alles gründlich und ließ es zum Kulturdenkmal erklären. Damit rettete sie viele Werke von Loos vor der Zerstörung, denn Loos’ Arbeiten galten wie andere Denkmäler der modernistischen Architektur als bürgerlich und wertlos. Věra Běhalová legte mit ihrer Kartierung der Pilsener Loos-Interieurs den Grundstein für deren künftige Erkundung und Restaurierung. Gleich nach ihrer erfolgreichen Emigration nach Wien im Jahr 1968 widmete sie sich der weiteren Erforschung der Geschichte des Pilsner Werks von Loos, zum Beispiel mit dem Artikel Pilsener Wohnungen von Adolf Loos (Bauforum II., 1970). In Wien konnte sie ihr zwangsweise unterbrochenes Studium mit einem Doktorat in Kunstgeschichte abschließen und wurde zu einer anerkannten Expertin für Kunst und Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts. Ihr ganzes Leben im Exil widmete sie selbstlos der Hilfe für ihre Landsleute, Emigranten aus der Tschechoslowakei.

Architektur, das ist kein Zeichnen. Architektur kann man schreiben - wie ein Gedicht oder eine Partitur.

Über die Wiederherstellung

Die Stadt Pilsen unternahm anlässlich des internationalen Symposiums “Werk und Wiederaufbau”, das 2003 zum 70. Todestag von Adolf Loos in Pilsen stattfand, erste Schritte zur Rettung der Wohnung der Vogls in der Straße Klatovská 12. Im darauffolgenden Jahr wurden der Salon und das Esszimmer teilweise restauriert. Die vollständige Restaurierung dieser Räumlichkeiten wurde 2014 abgeschlossen, und im selben Jahr wurde auch die Wohnung der Krauses in der Straße Bendova 10 renoviert.

Die Stadt leistete auch finanzielle Unterstützung für die vollständige Renovierung der Loos-Innenräume im Brummel-Haus in der Straße Husova 58. Die Erhaltung dieses prächtigen Raums ist vor allem Michal Brummel, dem Neffen von Jan und Jana Brummel, zu verdanken, der sich seit der Rückgabe des Anwesens an die Familie nach 1991 darum bemüht, es zu restaurieren und zumindest für die Fachöffentlichkeit zugänglich zu machen.

Auch die sogenannte Semler-Residenz, das Haus der Familie von Oskar Semler in der Straße Klatovská 110, das sich im Besitz der Pilsener Region befindet und von der Westböhmischen Galerie in Pilsen verwaltet wird, wurde einer umfassenden Rekonstruktion unterzogen. Die erste Hälfte der Innenräume wurde nach der ersten Etappe der Rekonstruktion im Herbst 2015 für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zwei Jahre später wurde die nächste Etappe in Angriff genommen und nach deren Abschluss im September 2022 wurde das Interieur der Öffentlichkeit komplett präsentiert.

Weitere Gebäude im Besitz der Stadt Pilsen, die bereits teilweise rekonstruiert wurden oder noch darauf warten, können auf der vierten Trasse besichtigt werden. In der Wohnung von Richard Hirsch wurden bereits die Einbauschränke im ehemaligen Schlafzimmer restauriert. Der nächste Teil der Renovierung wird die vollständige nachträgliche Ausstattung der übrigen Räume erfordern. Für das Hugo-Semler-Haus läuft derzeit ein Projekt zur baulichen Rekonstruktion sowie ein Projekt für eine Ausstellung in den Innenräumen, die der Befreiung Pilsens durch die amerikanische Armee gewidmet ist.

Das Projekt Adolf Loos Pilsen, das zum Ziel hat, das Werk von Adolf Loos in Pilsen besser zugänglich zu machen, wurde 2015 ins Leben gerufen, als die Stadt Pilsen den Titel Europäische Kulturstadt trug. Seit seiner Gründung wird das Projekt von der mitwirkenden Organisation Plzeň – TURISMUS verwaltet, deren Hauptaufgabe die Vermarktung und das Management der regionalen Destination Pilsen ist und die neben dem Projekt Adolf Loos Pilsen auch die touristischen Informationszentren der Stadt und das Museum Patton Memorial Museum verwaltet.

Das Projekt Adolf Loos Pilsen vereint die Loos-Interieurs in Pilsen, die sich nicht nur im Besitz der Stadt befinden, sondern auch andere Eigentümer haben, unter seinem Schirm. Es macht sie durch regelmäßige Führungen für Einzelbesucher und Gruppen zugänglich und organisiert kulturelle Veranstaltungen und Vorträge. Das Werk von Loos in Pilsen reist auch über die Grenzen der Stadt und der Republik hinaus – und zwar in Form von verschiedenen Ausstellungen und Präsentationen – und zieht Besucher aus der ganzen Welt an.

Von außen soll ein Haus nichts verraten, von innen aber soll es seinen ganzen Reichtum offenbaren.